Bewertung und Vermeidung von Explosionsrisiken
Wie beurteilt man explosive Atmosphären?
Dieses Kapitel behandelt den Anwendungsbereich und die Überwachung der Richtlinie 1999/92/EG (ATEX 153) "über Mindestvorschriften zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer, die durch explosionsfähige Atmosphären gefährdet werden können".
Anhand von sieben Fragen wird beurteilt, ob die Gefahr der Bildung einer gefährlichen explosionsfähigen Atmosphäre besteht, ob die zusätzlich getroffenen Maßnahmen ausreichen, um die Bildung einer gefährlichen explosionsfähigen Atmosphäre zu verhindern, ob der Bereich in Zonen eingeteilt werden muss und ob die Explosionen innerhalb des gefährdeten Bereichs sicher verhindert werden. Dieser Prozess ist in der nachstehenden Abfolge schematisch dargestellt.
Diagramm zum Risikomanagement
Umfang
Explosionsgefahren können in allen Unternehmen auftreten, in denen brennbare Stoffe verwendet werden. Zu diesen Stoffen gehören zahlreiche Verbrauchsmaterialien, Zwischenprodukte, Endprodukte und Rückstände aus dem täglichen Arbeitsprozess. Zu einer Explosion kommt es, wenn innerhalb der Explosionsgrenzen ein Gemisch aus Brennstoff und Luft (d. h. ausreichend Sauerstoff) und eine Zündquelle vorhanden sind. Im Falle einer Explosion sind die Arbeitnehmer durch die unkontrollierte Einwirkung von Flammen und Druck in Form von Wärmestrahlung, Hitze, Druckwellen und umherfliegenden Trümmern, sowie durch schädliche Reaktionsprodukte und durch den Verbrauch des zum Atmen benötigten Sauerstoffs aus der Umgebungsluft gefährdet.
Beispiele für die Bildung einer explosionsfähigen Atmosphäre
Risiken durch explosionsfähige Atmosphären treten in fast allen Branchen und bei einer Vielzahl von Verfahren und Prozessen auf. Einige Beispiele sind:
- Chemische und Pharmazeutische Industrie;
- Mülldeponien, Abfallwirtschaftsunternehmen;
- Tiefbau;
- Kraftwerke;
- Raffinerien und Gasversorger;
- Holzverarbeitenden Industrie;
- Farbspritzanlagen;
- Landwirtschaft;
- Metallverarbeitungsunternehmen;
- Lebens- und Futtermittelindustrie;
Petrochemische Anlage
In Übereinstimmung mit Artikel 1 der Richtlinie 1999/92/EG gilt die Anwenderrichtlinie nicht für:
- Räume, die unmittelbar für und während der medizinischen Behandlung von Patienten genutzt werden;
- die Verwendung von Gasgeräten gemäß den Anforderungen der Richtlinie 90/396/EWG;
- die Verwendung von Sprengstoffen oder chemisch instabilen Stoffen;
- die unter die Richtlinie 92/91/EWG oder die Richtlinie 92/104/EWG fallende Grundstoffindustrie;
- die Verwendung von Verkehrsmitteln zu Lande, zu Wasser und in der Luft, auf die die einschlägigen Vorschriften internationaler Übereinkommen (wie ADNR, ADR, ICAO, IMO, RID) Anwendung finden.
Verantwortung des Arbeitgebers
Artikel 3 der europäischen Richtlinie 1999/92/EC (ATEX 153) besagt, dass ein Arbeitgeber die Bildung explosionsfähiger Atmosphären verhindern und die Arbeitnehmer vor Explosionen schützen muss. Der Text lautet wortwörtlich:
"Mit dem Ziel des Verhinderns von Explosionen […] und des Schutzes gegen Explosionen trifft der Arbeitgeber die der Art des Betriebes entsprechenden technische und / oder organisatorische Maßnahmen nach folgender Rangordnung von Grundsätzen:
- Verhinderung der Bildung explosionsfähiger Atmosphären, oder, falls dies aufgrund der Tätigkeit nicht möglich ist,
- Vermeidung der Zündung explosionsfähiger Atmosphären und
- Abschwächung der schädlichen Auswirkungen einer Explosion, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.
Wo erforderlich, werden diese Maßnahmen mit Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Explosionen kombiniert und / oder durch sie ergänzt; sie werden regelmäßig überprüft, auf jeden Fall aber dann, wenn sich wesentliche Änderungen ergeben.
Um das Auftreten explosionsfähiger Atmosphären zu verhindern, muss bei der Beurteilung der Explosionsrisiken zunächst festgestellt werden, ob unter den gegebenen Bedingungen eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre auftreten und sich entzünden kann.
Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens und des Fortbestehens gefährlicher explosionsfähiger Atmosphären, die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins und der Aktivierung von Zündquellen, die Anlagen, die verwendeten Stoffe, die Betriebsverfahren und ihre möglichen Wechselwirkungen sowie das Ausmaß der wahrscheinlichen Folgen müssen sorgfältig geprüft werden.
Die Bewertung sollte für jeden Prozess, für jede Anlage und bei jeder Änderung von Prozessen oder Anlagen durchgeführt werden. Bei der Bewertung neuer oder bestehender Anlagen sollten die folgenden Betriebsbedingungen berücksichtigt werden:
- Normale Betriebsbedingungen, einschließlich Wartungsarbeiten;
- Inbetriebnahme und Stilllegung;
- Betriebsausfälle und vorhersehbare Störfälle;
- eine nach vernünftigen Maßstäben vorhersehbare, missbräuchliche Verwendung.
Explosionsrisiken sollten immer in ihrer Gesamtheit bewertet werden. Zu beachten sind:
- verwendete Arbeitsmittel;
- Umgebungsbedingungen;
- verwendete Stoffe;
- Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen;
- mögliche Interaktionen untereinander und mit dem Arbeitsumfeld.
Außerdem sollten Räume, die über Öffnungen mit gefährlichen Bereichen verbunden sind oder verbunden werden können, in die Bewertung der Explosionsrisiken einbezogen werden.
Wenn die explosionsfähige Atmosphäre verschiedene brennbare Gase, Dämpfe, Nebel oder Stäube enthält (hybride Gemische), kann dies die Wirkung der Explosion erheblich verstärken. Dies muss bei der Beurteilung des Explosionsrisikos berücksichtigt werden.
Systematische Methoden eignen sich zur Beurteilung von Explosionsrisiken bei Arbeitsprozessen oder technischen Anlagen. Systematisch bedeutet ein geordnetes, objektives und logisches Vorgehen. Dabei sind die vorhandenen Gefahrenquellen für die Bildung einer gefährlichen explosionsfähigen Atmosphäre und die möglicherweise gleichzeitig vorhandenen aktiven Zündquellen zu berücksichtigen.
In der Praxis reicht es in der Regel aus, das Explosionsrisiko mit einer Reihe spezifischer Fragen systematisch zu ermitteln und zu bewerten. Andere Methoden der Risikobewertung, z. B. FMEA (Fehler Möglichkeits- und Einfluss Analyse), PAAG-Verfahren (Prognose, Auffinden, Abschätzen, Gegenmaßnahme) oder Ereignisbaumanalyse sind nur bei der Ermittlung von Zündquellen in sehr komplexen technischen Anlagen (z. B. Chemie, Petrochemie) sinnvoll.
Die Bewertung der Explosionsgefahr sollte unabhängig davon vorgenommen werden, ob Zündquellen vorhanden sind oder auftreten können.
Die folgenden vier Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein, um Explosionen mit gefährlichen Folgen auszulösen:
- hoher Grad an Dispersion von brennbaren Stoffen;
- Konzentration der brennbaren Stoffe in der Luft innerhalb ihrer Explosionsgrenzen;
- gefährliche Mengen explosionsfähiger Atmosphären;
- aktive Zündquelle(n).
Sieben Fragen zur Bewertung der Explosionsrisiken
Um zu prüfen, ob tatsächlich eine Explosionsgefahr besteht und ob Explosionsschutzmaßnahmen erforderlich sind, müssen die ersten vier Fragen beantwortet werden:
- Sind entzündliche Stoffe vorhanden
- Kann die Verteilung in der Luft eine Ex-Atmosphäre erzeugen?
- Wo können explosionsfähige Atmosphären auftreten?
- Kann eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre entstehen?
Wenn die Antworten eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre erkennen lassen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um deren Entstehung soweit wie möglich zu verhindern!
Mit den folgenden drei Fragen wird ermittelt, ob die getroffenen Maßnahmen das Explosionsrisiko auf ein ungefährliches Maß reduzieren. Dieser Schritt sollte in Kombination mit den getroffenen Vorkehrungen (siehe Kapitel 4) wiederholt werden, bis eine geeignete Lösung gefunden ist.
- Wird eine gefährliche Ex-Atmosphäre angemessen verhindert?
- In welche Zonen können gefährliche Bereiche eingeteilt werden?
- Wird die Entzündung einer explosionsfähigen Atmosphäre angemessen verhindert?
Wenn die letzte Frage mit "Ja" beantwortet werden kann, sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Wenn sich herausstellt, dass die Zündung einer explosionsfähigen Atmosphäre nicht verhindert werden kann, sind konstruktive und organisatorische Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die schädlichen Auswirkungen einer Explosion zu minimieren.
In Frage 5 wird nach der "angemessenen" Vermeidung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphären gefragt. Diese Frage kann nur dann mit "ja" beantwortet werden, wenn die bereits getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen so beschaffen sind, dass unter Berücksichtigung aller Betriebsbedingungen und vernünftigerweise vorhersehbarer Störungen nicht mit dem Auftreten einer Explosion gerechnet werden muss.
Sind brennbare Stoffe vorhanden?
Voraussetzung für das Entstehen einer Explosion ist das Vorhandensein von brennbaren Stoffen im betrachteten Prozess. Das bedeutet, dass mindestens ein brennbarer Stoff als Grund- oder Hilfsstoff verwendet wird, als Rest-, Zwischen- oder Endprodukt entsteht oder bei einer gewöhnlichen Betriebsstörung gebildet werden kann. Nur wenn brennbare Stoffe vorhanden sind, sollten weitere Überlegungen zu möglichen Explosionsgefahren angestellt werden.
Kann durch Verteilung in der Luft eine Ex Atmosphäre entstehen?
Ob bei Vorhandensein von brennbaren Stoffen in der Luft eine explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann, hängt von der Zündfähigkeit des gebildeten Gemisches ab. Wenn der erforderliche Ausbreitungsgrad erreicht ist und die Konzentration der brennbaren Stoffe in der Luft innerhalb ihrer Explosionsgrenzen liegt, ist eine explosionsfähige Atmosphäre vorhanden. Bei Gasen oder Dämpfen ist immer eine ausreichende Dispersion gegeben.
Um diese Frage zu beantworten, müssen die folgenden Eigenschaften der Stoffe und ihr möglicher Verarbeitungszustand berücksichtigt werden:
- untere und obere Explosionsgrenze;
- Flammpunkt, Glimmtemperatur;
- Verarbeitung und Umgebungstemperatur;
- Konzentrationen, die bei der Verwendung entstehen oder bereits vorhanden sind;
- Handhabung und Verwendung einer Flüssigkeit (z. B. Spritzen, Sprühen, Verdampfen, Hochdruck);
- Vorhandensein oder Bildung von Staub / Luft-Gemischen und Staubablagerungen;
- Korngrößenverteilung (insbesondere Körner kleiner als 0,5 mm), Feuchtigkeit, Glimmtemperatur.
Bildung einer Staubwolke bei Abfüll- und Transportvorgängen
In der Praxis sind die Explosionsgrenzen für Stäube nicht so sinnvoll zu definieren wie für Gase und Dämpfe. Die Staubkonzentration kann durch schwebende Staubteilchen oder durch den Niederschlag von schwebenden Staubteilchen stark verändert werden.
Wo können explosionsfähige Atmosphären auftreten?
Wenn explosionsfähige Atmosphären entstehen können, muss genau ermittelt werden, wo sie auftreten, um die Gefährdung zu mindern. Dazu müssen die Eigenschaften der Stoffe und die spezifischen Bedingungen der Anlage, der Verfahrenstechnik und der Umgebung berücksichtigt werden.
Bei Gasen und Dämpfen ist die Dichte im Verhältnis zur Luft wichtig. Die Dichte der meisten Gase ist größer als die der Luft. Diese Gase sinken nach unten, vermischen sich mit der vorhandenen Luft und landen in Brunnen, Kanälen und Schächten. Einige Gase, wie Wasserstoff und Methan, sind viel leichter als Luft. Diese Gase neigen dazu, sich schnell in der Atmosphäre zu verteilen, wenn sie nicht eingeschlossen werden.
Schon geringe Luftbewegungen (natürlicher Luftzug, Anlagengebläse, thermische Konvektion) können die Luftdurchmischung erheblich beschleunigen.
Bei Flüssigkeiten und Nebeln sind die Verdunstungszahl, die Größe der Verdunstungsfläche und die Verarbeitungstemperatur von Bedeutung. Unter Druck stehende Flüssigkeiten können durch Zerstäuben oder Versprühen in die Umwelt freigesetzt werden und hochexplosive Nebel bilden.
Bei Stäuben sind mögliche Staubablagerungen auf horizontalen oder leicht geneigten Flächen zu berücksichtigen. Staubansammlungen in Filtern, in Förderanlagen, an Übergabestellen oder in Trocknern können ebenfalls explosionsfähige Atmosphären verursachen.
Im Allgemeinen sind die besonderen Umstände bei folgenden Prozessen zu beachten:
- Befüllung und Entleerung;
- das Entweichen von Stoffen an Ventilen, Schiebern und Gelenken;
- Be- und Entlüftungsbedingungen;
- Orte, an denen eine Belüftung nicht möglich ist, wie unterirdische Brunnen, Kanäle und Schächte.
Wann können gefährliche explosionsfähige Atmosphären entstehen?
Wenn Bereiche eine explosionsfähige Atmosphäre aufweisen können, sodass besondere Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der betroffenen Arbeitnehmer erforderlich sind, wird die explosionsfähige Atmosphäre als gefährliche explosionsfähige Atmosphäre eingestuft und die Bereiche gelten als Ex-Bereiche.
Selbst Kleinstmengen einer brennbaren Flüssigkeit können zu einer großen Menge brennbarer Dämpfe führen, wenn sie verdampfen. So entspricht beispielsweise 1 Liter flüssiges Propan 260 Litern Propan in gasförmigem Zustand. Auf die untere Explosionsgrenze verdünnt, ergibt sich eine explosionsfähige Atmosphäre von 13.000 Litern.
Ob eine explosionsfähige Atmosphäre tatsächlich eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre ist, hängt vom Volumen der explosionsfähigen Atmosphäre und den schädlichen Auswirkungen im Falle einer Explosion ab. In der Regel ist eine Explosion jedoch immer mit umfangreichen Schäden verbunden, so dass faktisch immer eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre vorliegt.
Wie kann die Bildung einer Ex-Atmosphäre verhindert werden?
Wenn eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann, sind Maßnahmen erforderlich, die das Auftreten dieser Atmosphäre soweit wie möglich verhindern. Die möglichen Maßnahmen sind in § 4.1 in Verbindung mit den organisatorischen Maßnahmen des Kapitels 5 beschrieben.
Die Maßnahmen, die zur Verhinderung des Auftretens einer explosionsfähigen Atmosphäre getroffen wurden, müssen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Dabei sind alle praktisch möglichen Betriebszustände und alle Störfälle zu berücksichtigen. Nur wenn sichergestellt ist, dass das Auftreten gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre verhindert sicher verhindert wird, kann auf weitere Maßnahmen verzichtet werden.
Wird die Entzündung einer Ex-Atmosphäre ausreichend verhindert?
Wenn das Auftreten gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre nicht völlig ausgeschlossen werden kann, müssen Maßnahmen zur Vermeidung aktiver Zündquellen getroffen werden. Je größer die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins einer gefährlichen explosionsfähigen Atmosphäre ist, desto stärker muss das Vorhandensein von aktiven Zündquellen vermieden werden. Die möglichen Maßnahmen zur Vermeidung aktiver Zündquellen sind in § 4.2 beschrieben.
Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass gefährliche explosionsfähige Atmosphären und aktive Zündquellen gleichzeitig vorhanden sind, sind auch konstruktive Vorkehrungen wie in § 4.3 beschrieben erforderlich. In allen anderen Fällen müssen geeignete Maßnahmen zur Risikominderung getroffen werden.